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Im Zeitalter von Selfies und Fast Fashion: Expertinnen der FOM im Interview5 min read

Dezember 2, 2020 4 min read
EUV News

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Im Zeitalter von Selfies und Fast Fashion: Expertinnen der FOM im Interview5 min read

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Kleidung, die nur virtuell existiert: In der Gamer Branche und der Promiwelt ist „Pixelmode“ schon längst angekommen. Denn warum noch echte Kleidung kaufen, wenn sie sowieso nur für das Sozialleben im Internet gebraucht wird? FOM Professorin Dr. Carolin Tewes, Expertin für digitale Medien, wagt im Interview einen Blick in die Zukunft und erläutert, ob dieses Konzept bald auch für die breite Masse „Normalität“ sein wird und inwiefern Nachhaltigkeit hierbei eine Rolle spielt. Prof. Dr. Eleonore Soei-Winkels, Professorin für Wirtschaftspsychologie der FOM Hochschule in Essen, beleuchtet die psychologische Sicht dieses Konzepts und verrät, welchen Einfluss diese immer stärker werdende digitale Identität auf junge Menschen hat.

Frau Prof. Dr. Tewes, mittlerweile gibt es Kleidung, die in der realen Welt gar nicht mehr existiert, die am Computer gestaltet und programmiert wird. In Videospielen und in der Promiwelt wird sie tatsächlich schon „getragen“. Glauben Sie, dass digitale Mode auch für die Allgemeinheit Zukunft hat?
Prof. Dr. Carolin Tewes: Ja, davon gehe ich aus. Natürlich ist die Etablierung stark abhängig vom Fortschritt der Technologie. In Fotos funktioniert das System bereits, für digitale Kleidung in Videos sind allerdings noch einige technische Entwicklungen von Nöten, damit die Outfits tatsächlich realistisch aussehen.

Können Sie sich dieses Prinzip denn für sich selbst vorstellen? Werden Sie zukünftig mit einem digitalen Blazer in einer Videokonferenz sitzen?
Prof. Dr. Carolin Tewes: Definitiv, ich wäre sofort dabei! Jeden Morgen steht man vor dem Schrank, überlegt was man anzieht, muss waschen, bügeln … So könnte ich einfach ein weißes Shirt anziehen und auch mal spontan ein beliebiges Kleidungsstück aus meinem digitalen Kleiderschrank wählen – ohne Aufwand.

Wie genau funktioniert digitale Kleidung denn? Kann sich nicht jeder die Kleidung des anderen einfach „kopieren“?
Prof. Dr. Carolin Tewes: Momentan ist es noch so, dass User ein Foto von sich hochladen und ein Grafikdesigner dem Kunden anschließend die gekaufte Mode digital auf den Leib schneidert. Die vereinzelten Anbieter vertreiben ihre Designerstücke mithilfe einer sogenannten Blockchain-Technologie, bei der jedes Kleidungsstück eine einmalige Identifizierungsnummer bekommt. So ist jede digitale Bekleidungsdatei einmalig und kann nicht einfach kopiert werden. Wenn sich das Konzept allerdings etablieren soll und auch Bekleidungsgeschäfte wie H&M, Zara & Co. mitziehen – wovon ich ausgehe – wird es ein neues System geben, das einfacher umzusetzen ist, dafür aber womöglich auch einfacher zu kopieren sein wird. Vielleicht wird es dann eine Art Lizenz-Regelung geben, dass man ein Kleidungsstück beispielsweise nur für eine gewisse Fotoanzahl verwenden kann.

Ein positiver Aspekt ist die Nachhaltigkeit – die Idee ist innovativ und effizient und es würden Geld und Rohstoffe für „Fast Fashion“ gespart…
Prof. Dr. Carolin Tewes: Richtig. Unmengen an Kleidern werden nur gekauft, um sie digital in Fotos und Outfit-Posts zu präsentieren. Nachhaltiger ist es also definitiv, wenn diese Kleidung nur aus Pixeln besteht und somit giftige Chemikalien, einen hohen Wasserverbrauch, schlechte Arbeitsbedingungen und haufenweise überproduzierte Fast Fashion ablöst. Diese Branche kann auf jeden Fall – gerade was Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen angeht – vom digitalen Fortschritt profitieren. Allerdings brauchen Influencer, Promis und die allgemeine Öffentlichkeit natürlich auch echte Kleidung. Aber zumindest könnte der einmalige Konsum für Fotos und Videos abgewendet werden.

Prof. Dr. Carolin Tewes ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der FOM Hochschule in Düsseldorf, insbesondere für Marketing und digitale Medien. Zuvor leitete sie die Forschungsstelle der allgemeinen und textilen Marktwirtschaft (FATM) der Universität Münster. Sie erforschte die Zukunft der Modebranche – beschäftigte sich unter anderem mit der Markt- und Konsumentenpsychologie sowie mit der Reduzierung von Plastikverbrauch in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Darüber hinaus ist Prof. Dr. Tewes Inhaberin und Chief Marketing Officer von REALYZE, eine Consultingfirma, die unter Berücksichtigung aktueller und künftiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Trends und Zukunftsthemen Geschäftsmodelle analysiert.

 

Wir sollten also nicht der Digitalisierung und der Entwicklung der Bekleidungsindustrie einen Vorwurf machen. Der „digitale Kleiderschrank“ ist eine nachhaltige Möglichkeit – denn auch die Bekleidungsindustrie ist ein Verlierer der Corona-Krise. Wofür noch schicke Kleidung kaufen, wenn wir uns ohnehin größtenteils drinnen aufhalten.

Aber was macht denn diese „digitale Identität“ mit uns Menschen? Viele Menschen scheinen sich doch immer mehr über ihre Profile in den sozialen Medien zu identifizieren?
Prof. Dr. Eleonore Soei-Winkels: Eine digitale Identität auf Social Media gibt uns die Möglichkeit, das Selbstbild so zu gestalten, wie wir es gerne hätten. Außerdem haben wir gleichzeitig die Kontrolle über das Fremdbild. Es ist eine relevante Option, anderen Menschen strategisch gezielt ein Bild zu vermitteln. Dort sind wir visualisierte Personen – haben die Möglichkeit, eine Botschaft zu senden. Wir können online überall sogenannte „Role Models“ finden, Gleichgesinnte, Personen, die einen ansprechen und von denen wir etwas lernen können. Und dabei möchte die Gesellschaft „echte“ Menschen, echte Vorbilder – sei es bei gewissen Kampagnen von Kosmetik-Herstellern oder auf Profilen von Menschen, die nicht perfekt oder makellos sind. Immer mehr Authentizität und diverse Accounts sind gefragt. Ich persönlich hoffe, dass sich meine Kinder nicht von einer Scheinwelt beeinflussen lassen. Wir als Eltern sind dann in der Pflicht, die technischen Möglichkeiten aufzuzeigen: „Ja, hier wurde ein Filter genutzt. So ist es echt, so nicht. Du könntest das auch, aber fühlst du dich dann besser?“

Würden Sie die digitale Kleidung denn auch selbst nutzen?
Prof. Dr. Eleonore Soei-Winkels: Ja, ich würde die digitale Kleidung nutzen – allein, weil mich die Technik interessiert. Hinzu kommt, dass ich persönlich nicht gerne einkaufen gehe. Perfekt wäre es doch, wenn es einmal einen 3D-Scan geben würde, und mir die Kleidung dann jedes Mal passt. Sowohl, wenn ich etwas online bestelle – um auch Rücksendungen etc. einzusparen – als eben auch digital. Generell halte ich diesen Anwendungsfall für sehr charmant, ressourcensparend und nachhaltig. Fast Fashion könnte abgeschafft werden, wenn sich dieses Prinzip etabliert.

Prof. Dr. Eleonore Soei-Winkels doziert seit 2013 Wirtschaftspsychologie an der FOM in Düsseldorf. Sie hat Psychologie studiert, in Neurowissenschaften promoviert, als IT Analyst sowie IT Consultant gearbeitet und ist dann in die Lehre gewechselt. Sie trainiert Lehrende in der digitalen Hochschuldidaktik und coacht Führungskräfte und Forschende.